Bibelfliesen kommen in der niederländischen Produktion seit dem späten 17. Jahrhundert vor. In dieser Zeit wurden sowohl die Bevölkerung als auch in verstärktem Maße die Künstler (also diejenigen, auf deren Motive die Fliesenmaler zurückgriffen) von der Strömung des Pietismus ergriffen. Das Ergebnis war, daß Bibelfliesen sowohl zur Unterstützung des religiösen Unterrichts für die analphabetische Bevölkerung als auch als Wandschmuck zur Erbauung benötigt und gefertigt wurden.
Herstellungshöhepunkt war im 18. Jahrhundert – vor allem mit einem Motiv im Kreis und je einem “Ochsenkopf” als Eckmuster. Im 19. Jahrhundert flaute die Produktion dagegen stark ab und verlagerte sich gleichzeitig nach Utrecht, wo bevorzugt manganbraune, mit Textstellen versehene Exemplare gefertigt wurden. Bei den anderen Manufakturen verschwanden die Bibelfliesen fast völlig aus dem Programm.
Anhand der Manufaktur Tichelaar in Makkum kan man das nachlassende Interesse an friesischen Bibelfliesen gut verfolgen. Hatte der prozentuale Anteil der Fliesen mit biblischen Darstellungen zwischen 1776-1793 noch 7% der Gesamtproduktion umfaßt, so sind es in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts weniger als 0,8% aller Fliesen. Hauptabnehmer waren deutsche Kunden, vor allem Hamburger. Die Harlinger Fliesen wurden in erster Linie nach Ostfriesland und Schleswig-Holstein verkauft.
Zwischen 1795-1806, zur Zeit der sog. “Batavischen Republik”, kam es noch einmal zu einem letzten Produktionshöhepunkt bei Fliesen mit Bibelthemen bei Tichelaar. In diesem Zusammenhang dürften die in Jever vorhandenen Fliesen zu sehen sein, wenngleich das Jeverland traditonell von Harlinger Manufakturen beliefert worden ist.
Bei den friesischen Bibelfliesen, die sich in Jever finden, lassen sich zwei Grundtypen unterscheiden:
Basterde histories/ Histories met wolken
Histories op land in cirkel
1. Unter “Basterde histories” oder “kleine histories” (Typ A2 und A4 nach Pluis 1984, S. 84) versteht man Fliesen aus Friesland, mit schlichten Darstellungen, die – unabhängig von dem in der Bibel angegebenen Handlungsort (im Haus oder in der Landschaft) – von zwei Hügeln mit geschwämmelten Bäumchen eingefaßt sind. Den Herstellungsort (jedoch nicht die jeweilige Manufaktur) kann man anhand der Baumform unterscheiden. So weisen Harlinger Fliesen dreistämmige Bäume auf, deren Blattgruppen getrennt angeordnet sind. Die Blattgruppen der Bäume aus Makkum und Bolsward sind dagegen ohne Abstände aneinandergeschwämmelt. Einen Anhaltspunkt zur Manufaktur kann man nur anhand der Fertigungsbücher bekommen, da nicht jede Produktionsstätte jedes Motiv gefertigt hat.
Als Eckmotiv wird traditionell das “Ochsenkopfmuster” verwendet. Die Färbung ist üblicherweise blau auf weißem Grund, allerdings gibt es v.a. aus dem beginnenden 19. Jahrhundert auch manganfarbene Exemplare.
Daneben findet sich auch vereinzelt die preiswertere Bibelfliesen-Variante, die sog. “histories met wolken”, die statt des Ochsenkopfmusters einen Spinnenkopf als Eckmotiv haben. Diese Fliesen sind zum überwiegenden Teil in blau/weiß gehalten, in ihrer Entstehung ursprünglich älter als die Basterde histories und haben im Gegensatz zu diesen einen erneuten Höhepunkt in den 1840er Jahren.
2. Die “histories op land in cirkel” (der ursprünglich gebräuchliche Name für diese Fliesengruppe ist nicht überliefert) – stammen aus Harlingen. Typisch für sie ist eine biblische Szene auf einem kleinen Boden, umgeben von einem Zwei- bis Dreifachkreis. Die Farbgebung ist immer blau auf weißem Grund. Zeitlich sind sie vor allem aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts überliefert, kommen aber auch noch bis in 19. Jahrhundert vor. Pluis 1984, S. 84 rechnet hier auch die “Histories met wolken” zu, da die “histories op land in cirkel” (Typ B4 und B5 nach Pluis 1984) traditionell einen Spinnenkopf als Eckmotiv haben.
Auffällig ist, daß die teureren “Basterde Histories” mit 132 Exemplaren die am stärksten vertretene Gruppe der Bibelfliesen in Jever stellen, während die “histories met wolken” nur zehnmal, die “histories op land in cirkel” sogar nur dreimal nachweisbar sind.
Vermutlich ist ein Teil der Bibelfliesen von Hendrik Annes gefertigt worden, der in der Manufaktur Tichelaar um 1800 beschäftigt war. Allerdings läßt sich hierzu nichts Endgültiges sagen, da die Fliesen in Jever eingemauert sind und somit die Rückseite – die ja Signaturen enthalten kann – zur wissenschaflichen Bearbeitung nicht zur Verfügung steht. Ebenso ist die zeitliche Zuordnung eingeschränkt, da die Fliesentiefe aufgrund derselben Ursache nicht meßbar ist und eine Datierung nur anhand des Eckmotivs Ungenauigkeiten birgt.
Feststellen läßt sich jedoch, daß nur 19 Fliesen aus Harlingen kommen, während die restlichen 126 der Makkumer Manufaktur Tichelaar zugeordnet werden können. Dieses ist anhand von Strichen und Bögen zu erkennen, die prinzipiell links von einem im Vordergrund befindlichen Grasbüschel, plaziert sind. Bei der Manufaktur Kingma in Makkum wie auch in Harlingen findet sich diese Verzierungsvariante nicht.